Wie steht es um E-Government in der Schweiz?

Mélanie Haab, 30. November 2023

Vom Dating bis hin zur Vermögensverwaltung: Im Internet ist – fast – alles möglich. Auch die öffentliche Verwaltung ist mit zahlreichen Dienstleistungen dabei. In vielen Fällen werden die Lösungen über die verschiedenen Staatsebenen Bund, Kantone und Gemeinden entwickelt, was der Digitalen Verwaltung Schweiz den Weg ebnet.

Um den Wettlauf rund um E-Government und die verschiedenen (transversalen oder vertikalen) Kooperationen zu veranschaulichen, lässt sich eine Parallele ziehen zur aktuellen rasanten technologischen Weiterentwicklung der Elektroautos: Einige Organisationen realisieren die Architektur, das «Design des Chassis», andere die Lösungen, den «Motor», und wiederum andere verbessern die Benutzererfahrung, die «Innenausstattung». Und um die Rahmenbedingungen festzulegen, erarbeiten Expertengruppen in verschiedenen Bereichen Normen, die «Verkehrsregeln». So sind in der Schweiz bereits 157 eCH-Standards verabschiedet worden.

Seit dem 1. Januar 2022 koordiniert die Digitale Verwaltung Schweiz (DVS), die Zusammenarbeitsorganisation von Bund, Kantonen und Gemeinden, die verschiedenen Aktivitäten zur Entwicklung von Standards. In ihrer heutigen Form ist es der DVS aber nicht möglich, diese Standards verbindlich zu machen. Es fehlt eine rechtliche Grundlage, welche eine Verfassungsänderung erfordern würde. Dennoch ist die DVS das ideale Gefäss, um Know-how für die Entwicklung einfacher und allen zugänglicher Lösungen zu teilen. Der Austausch von good Practices hat bereits begonnen, und die drei Staatsebenen bauen – natürlich im übertragenen Sinn – gemeinsam dieses Auto der Zukunft. Der Bund arbeitet mit den Kantonen zusammen, welche ihre good Practices auch untereinander austauschen. Die Kantone wiederum richten gemeinsam mit ihren Gemeinden Onlineschalter ein. Föderalismus wird auch im Quellcode gelebt.

Der Bund arbeitet mit den Kantonen zusammen, welche ihre good Practices auch untereinander austauschen. Die Kantone wiederum richten gemeinsam mit ihren Gemeinden Onlineschalter ein.

© Unsplash - Ken Suarez

Vertikale Zusammenarbeit

Einige der häufigsten Behördengeschäfte sind bereits online verfügbar. Der bekannteste Dienst heisst eUmzug  und erspart den Gang zur Wohngemeinde. Auf der von Bund, KdKSchweizerischem Gemeindeverband und Schweizerischem Städteverband eingerichteten Plattform ist ein grosser Teil der Schweizer Gemeinden vertreten.

Ein nach demselben Modell gestaltetes zentrales Betreibungsregister könnte bald die Möglichkeit bieten, schweizweite Abfragen durchzuführen. Heute muss jeweils eine Auskunft pro Gemeinde, in welcher die Person oder das Unternehmen den Wohnsitz oder Sitz hat oder hatte, eingeholt werden.

Auf der Website  ePublikation, entwickelt 2018 vom SECO, veröffentlichen bald zehn Kantone und viele Gemeinden ihre Amtsblätter.

Eine der ersten Baustellen der DVS ist die schweizweite Harmonisierung der Authentifizierungsdienste über das Vorhaben AGOV. Die ursprünglich vom Bund unter der Bezeichnung «ch-login» entwickelte Lösung steht den Kantonen ab 2024 zur Verfügung.

Rund 85 000 Unternehmen nutzen die Plattform EasyGov.swiss von Bund, Kantonen und Gemeinden, um ihre administrativen Aufgaben (Steuern, Handelsregistereintrag, Sozialversicherungen, Arbeitsbewilligung ...) einfacher abzuwickeln. Auf der Website können auch Betreibungsregisterauszüge für sich selbst oder für Dritte bestellt werden.

Transversale Zusammenarbeit

Neun Kantone, eine Lösung

Der Onlineschalter iGovPortal wird vom gleichnamigen Verein unterhalten, der 2017 von den Kantonen Jura und Freiburg gegründet wurde. Aktuell gehören dem Verein neun Kantone an (BS, FR, GL, GR, JU, LU, SG, SO und VS), in denen insgesamt 2,5 Millionen Personen, d. h. 28 Prozent der Schweizer Bevölkerung, leben. Vier weitere Kantone sind interessiert und durchlaufen derzeit den Beitrittsprozess, wie Christian Dolf, Leiter Management Office, sagt. Konkret geht es um das Login (Once-Only-Prinzip), die Identifizierung, Onlineschalter-Dienste, Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung, Informatikarchitektur oder einfach Design, also um alle Teile des «IT-Autos». Auch die Gemeinden der Mitgliedskantone erhalten Zugang zu den Leistungen. Mehrere Unternehmen sind zertifiziert, um die Lösung umzusetzen und so die Digitalisierung der Verwaltung den Wünschen und der Agenda der einzelnen Kantone entsprechend auszubauen. Es funktioniert aber auch in die andere Richtung: Die Kantone können selber an der Entwicklung neuer Services mitarbeiten und diese Services mit den anderen Kantonen teilen. Da die Finanzierung nach einem partizipativen Modell erfolgt, steigt mit der Zahl der Mitglieder auch die Zahl der Leistungen. Die DVS leistet ebenfalls einen Beitrag.

Die Kantone können selber an der Entwicklung neuer Services mitarbeiten und diese Services mit den anderen Kantonen teilen.

Präsentation iGovPortal

Digitale Polizeiposten

Ein weiteres Beispiel für die kantonale Zusammenarbeit ist die Plattform Suisse ePolice: Auf der Website oder der App können seit 2013 Diebstähle oder Sachbeschädigungen gemeldet oder der nächste Polizeiposten gesucht werden. Geleitet wird der Dienst von der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten der Schweiz (KKPKS).

Zusammenarbeit zwischen Kantonen und Gemeinden

Freiburg: Kantonale und interkantonale Lösungen

Für die Entwicklung der Basisdienstleistungen des virtuellen Schalters – und vor allem für den Einsatz von rechtsgültigen digitalen Unterschriften – suchte der Kanton Freiburg nach einem benutzerfreundlichen Verfahren für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Da er kein geeignetes Produkt fand, beteiligte sich der Kanton 2018 zusammen mit dem Unternehmen Blocksigner (das später zu Skribble wurde) an der Realisierung von Skribble, einer einfachen und effizienten Lösung für die Erstellung rechtsgültiger elektronischer Signaturen. Dieses Start-up ist zu einem führenden Akteur in diesem Bereich geworden. Es ist in mehreren Ländern tätig und weist heute eine Bewertung in Höhe mehrerer Millionen Franken auf.

2021 wurde mit einer Vereinbarung zwischen Kanton und Gemeinden das Programm DIGI-FR in die Wege geleitet. Es sieht einen einheitlichen Onlineschalter für kommunale und kantonale Behördenleistungen für Bevölkerung, Unternehmen und Institutionen vor. Aktuell sind 23 kantonale Dienstleistungen sowie die Formalitäten bei der Einwohnerkontrolle in 21 Gemeinden (einem Sechstel der Gemeinden) verfügbar. Während der Testphase, die voraussichtlich bis Jahresende dauert, bezahlen Kanton und Gemeindeverband einen Franken pro Einwohnerin oder Einwohner und Jahr, um die Entwicklung von E-Government voranzubringen. Die Onlinedienste stehen auf den Websites des Kantons und der Gemeinden zur Verfügung, welche direkt in den Suchmaschinen referenziert sind (für den Zugang zu den Dienstleistungen wird mehrheitlich diese Vorgehensweise genutzt).

Zürich: Egovpartner in den Startblöcken

egovpartner ist eine eigenständige Zusammenarbeitsorganisation von Gemeinden, Städten und dem Kanton Zürich im Bereich der Digitalisierung. Die Organisation initiiert Projekte, treibt diese voran und leistet, wo nötig, eine Anschub- oder Unterstützungsfinanzierung. Alles mit dem Ziel, nutzerorientierte und effiziente digitale Verwaltungsprozesse und Dienstleistungen für die Bevölkerung und die Wirtschaft des Kantons Zürich zu fördern. Gemeinden und Kanton investieren jeweils 1.30 Franken pro Einwohnerin und Einwohner und Jahr. 117 von 160 Zürcher Gemeinden (d. h. 85 % der Bevölkerung des Kantons) haben die Zusammenarbeitsvereinbarung bereits unterschrieben.

Im Portfolio von egovpartner finden sich verschiedene Projekte, welche die digitalen Prozesse zwischen den Staatsebenen effizienter gestalten sollen. Auch soll eine grosse Zahl von Geschäften online erledigt werden können. Zudem ist vorgesehen, dass der Einstiegspunkt «Zürikonto» von Gemeinden und Städten genutzt werden kann.

Die Möglichkeit, Baugesuche einzureichen (eBaugesucheZH) oder bestimmte Bewilligungen zu beantragen (eBewilligung), wird 2024 geprüft werden. Wie andere Lösungen orientiert sich die Organisation an den eCH-Standards und wurde so konzipiert, dass sie in Zukunft mit einem nationalen E-ID-System kompatibel ist.

Bevölkerungsumfrage im Tessin

Der Kanton Tessin befasst sich in diesem Herbst mit dem E-Government. Bevor aufwändige Arbeiten in Angriff genommen werden, hat der Kanton seine Bevölkerung zu den prioritären Bedürfnissen befragt. Auf dieser Grundlage wird er die strategische Ausrichtung beschliessen. «Wir wollen anhand der gesammelten Informationen das digitale Tessin von morgen aufbauen: neue Dienstleistungen, um effizienter auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung eingehen zu können», erklärt Milena Folletti, Delegierte des Kantons für digitale Transformation. «Zunächst wird basierend auf den Ergebnissen ein neues Internetportal entwickelt, das alle bestehenden und in naher Zukunft entwickelten Onlinedienste strukturiert, einfach und übersichtlich zusammenführt.» Der Kanton Tessin ist keineswegs isoliert, sondern Mitglied der Direktorenkonferenz für Digitalisierung der lateinischen Kantone (CLDN). «Zur politischen Vision des Regierungsrats hinzu kommt der Austausch auf operativer Ebene. Wir haben auch bilaterale Kooperationen.»


Zur Autorin

Mélanie Haab ist Kommunikationsbeauftragte bei der ch Stiftung. Sie besitzt einen Abschluss in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Freiburg. In vormaliger Tätigkeit hat sie für verschiedene Medien als Journalistin gearbeitet.

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