Digitale Transformation als Herausforderung für die Medienpolitik

Manuel Puppis, 19. März 2024

Plattformisierung, Datafizierung und Algorithmisierung verändern Medien und Öffentlichkeit. Doch statt Antworten auf diese gesellschaftlichen Herausforderungen zu suchen, verharrt die Schweizer Medienpolitik in der Vergangenheit.

Die digitale Transformation von Medien und Öffentlichkeit ist längst in vollem Gange. Die Mediennutzung findet vermehrt online und mobil statt. Gemäss dem Jahrbuch Qualität der Medien 2023 sind Onlinemedienangebote unterdessen für den Grossteil der Bevölkerung die wichtigste Nachrichtenquelle. Aber die Nutzung verschiebt sich nicht nur von Offlineangeboten von Medien zu deren Websites und Apps, sondern auch zu Plattformen, also Suchmaschinen (z.B. Google), sozialen Netzwerken (z.B. Instagram) oder Video-Sharing-Diensten (z.B. YouTube). Bei den 18- bis 24-Jährigen haben Plattformen die Websites der Medien bereits überholt und sind für über 40 % die Hauptinformationsquelle.

Anders als Medien beschäftigen sich Plattformen nicht mit der Produktion und Distribution eigener Inhalte. Plattformen verbreiten fremdproduzierte Inhalte (darunter professionelle Medieninhalte) und Werbebotschaften und bringen diese an ein Publikum. Die bei der Nutzung der Plattform anfallenden Daten werden gesammelt und ausgewertet, was eine Personalisierung von Inhalten und Werbung mittels algorithmischer Systeme ermöglicht. Michael Latzer spricht in diesem Zusammenhang von der «digitalen Dreifaltigkeit» aus Plattformisierung, Datafizierung und Algorithmisierung.

©Pexels / Skylar Kang

Probleme mit Plattformen

Das ist an sich kein Grund zur Sorge, denn für eine funktionierende Demokratie ist es unerheblich, ob sich Menschen offline oder online informieren. Plattformen bieten viele neue Möglichkeiten für Information, Diskussion und Partizipation. Sie bringen aber auch eine Reihe von Problemen mit sich.

Marktmacht: Plattformen agieren auf mehrseitigen Märkten, wodurch direkte und indirekte Netzwerkeffekte entstehen, die zusammen mit anderen ökonomischen Besonderheiten eine starke Konzentration begünstigen. Plattformmärkte sind «Winner-takes-all»-Märkte.

Meinungsmacht: Algorithmische Systeme treffen ständige Entscheidungen darüber, welchen Nutzer/innen welche Inhalte von welchen Anbieter/innen angezeigt werden und welche nicht. Suchanfragen oder Empfehlungen von Artikeln und Videos können aber verzerrte Resultate liefern («Algorithmic Bias»). Zudem sind die Plattformen, die die Programmierung dieser Algorithmen in Auftrag geben, gewinnorientierte Unternehmen. Ihr Ziel ist es, die Nutzer/innen möglichst lange auf der Plattform zu halten. Demokratische Anforderungen wie Meinungs- und Themenvielfalt werden bei der Programmierung nicht berücksichtigt.

Problematische Inhalte: Über Plattformen werden auch Desinformation oder Hassrede zugänglich gemacht. Heute entscheiden die Plattformen selbst, welche Inhalte erlaubt sind und welche nicht.

Medienkrise: Nicht nur die Nutzung, auch die Werbung verlagert sich ins Internet – und zwar nicht auf die Websites und Apps der klassischen Medien, sondern auf Kleinanzeigenportale und Plattformen. Damit nimmt der Anteil des Journalismus am Werbekuchen ab. Die Nettowerbeumsätze der Schweizer Kaufzeitungen mit Printwerbung sind in den letzten 20 Jahren regelrecht eingebrochen von fast CHF 2 Mia. im Jahr 2000 auf noch CHF 323 Mio. im Jahr 2022. Die Onlinewerbeumsätze (2022: CHF 178 Mio.) können dies bei weitem nicht kompensieren (siehe Abbildung). Gleichzeitig sind laut Reuters Digital News Report 2023 nur 17% der Schweizer Bevölkerung bereit, für Onlinejournalismus zu bezahlen. Diese Krise führt zu massiven Sparmassnahmen in den Redaktionen und zu einer Zentralisierung in der Produktion, was nicht ohne Folgen für die publizistische Leistungsfähigkeit bleibt.

Doch was tut die Schweizer Medienpolitik? Statt Lösungen für diese Probleme zu suchen, wird über den Posttransport von Zeitungen diskutiert und die Schwächung der SRG SSR vorangetrieben.

Nettowerbeumsätze von Kaufzeitungen mit Printwerbung (in Mio. CHF)

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf Zahlen der Stiftung Werbestatistik Schweiz

Reform der Medienförderung

Natürlich sind viele Zeitungsverlage immer noch auf verbilligte Posttaxen angewiesen. Doch eine Zustellermässigung für gedruckte Zeitungen setzt keine Anreize, um die digitale Transformation zu bewältigen. Zudem verliert diese Subvention angesichts rückläufiger Auflagen sukzessive an Wirkung (sogenannter «Policy Drift»). Die Vorbereitung eines neuen Modells der Medienförderung, das die Posttaxenverbilligung dereinst ablösen kann und auch in der digitalen Welt wirksam ist, braucht Zeit und müsste jetzt in Angriff genommen werden.

Eine konvergente oder technologieneutrale Journalismusförderung würde nicht die Zustellung von gedruckten Zeitungen, sondern die Produktion von Journalismus unterstützen – unabhängig davon, ob ein Medium online oder offline erscheint oder ob Text, Audio- oder Videoinhalte produziert werden. Medien, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, erhielten die Förderung auf Antrag weitgehend automatisch, wodurch auch die redaktionelle Unabhängigkeit gewährleistet wäre. Vorbilder für eine solche Förderung finden sich in zahlreichen europäischen Ländern, die über langjährige Erfahrung verfügen, wie eine Förderung staatsunabhängig umgesetzt werden kann. Zusätzlich ist eine Förderung von Innovationsprojekten, Recherchefonds und Infrastrukturen, die der ganzen Branche zugutekommen, denkbar. Die Eidgenössische Medienkommission EMEK hat sich in einem Bericht ebenfalls für eine solche Förderung ausgesprochen.

Auch die Kantone sind gefordert. Solange sich auf Bundesebene nichts tut, könnten sie sich als Labor verstehen, um innovative Modelle der Medienförderung auszuprobieren.

Medialer Service public für eine digitale Gesellschaft

Angesichts der Medienkrise ist es absurd, dass auch noch eine mutwillige Schwächung des Service public vorangetrieben wird. Weder ist die Serafe-Abgabe besonders hoch (wenn man die kleine Grösse der Schweiz, die Mehrsprachigkeit und die Kaufkraft bedenkt), noch hilft eine Beschränkung der SRG den privaten Medien. Studien (hier, hier und hier) haben gezeigt, dass sich weder eine hohe Reichweite noch eine hohe individuelle Nutzung der Onlineangebote des Service public negativ auf die Reichweite oder die Zahlungsbereitschaft für private Onlinemedien auswirkt. Zudem hätte der Wegfall des Service-public-Onlineangebots eine Verlagerung der Nachfrage zu Gratisangeboten zur Folge, nicht zu kostenpflichtigen Onlinemedien. Und für private Fernsehsender sind von den SRG-Sendungen einzig beliebte Sportereignisse attraktiv.

Eine Entscheidung über den notwendigen Umfang der SRG-Finanzierung ist nicht möglich, ohne zuvor darüber zu diskutieren, welche Leistung ein medialer Service public für eine digitale Gesellschaft erbringen soll. Klar ist: Radio- und Fernsehsender sind nicht die Zukunft. Nur wenn Innovation möglich ist, kann die SRG ihren Auftrag auch künftig erfüllen. Die Politik sollte deshalb die Weiterentwicklung der SRG zu einem personalisierten Audio- und Videoangebot auf Abruf ermöglichen. Im Gegensatz zu Facebook und Co. muss ein Service-public-Algorithmus nicht nach einer kommerziellen Logik funktionieren, sondern kann eine Balance finden zwischen Inhalten, die die Nutzer/innen anziehen, und solchen, die einen Wert für die Gesellschaft haben. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es nicht alternative Orte für Onlinedebatten braucht, die heute auf amerikanischen oder chinesischen Plattformen stattfinden. Die Schaffung eines «Public Open Space», also eines öffentlichen Raums für Debatten, der nach den Regeln der Schweizer Demokratie funktioniert, könnte künftig auch zum Auftrag des Service public gehören.

All dies setzt eine stabile Finanzierung voraus. Die Kantone können sich dafür einsetzen, dass die Schweiz weiterhin über einen starken medialen Service public verfügt. Eine Senkung der Radio- und Fernsehabgabe gutzuheissen, aber gleichzeitig zu erwarten, dass kein Leistungsabbau stattfindet, ist hingegen eher realitätsfremd.

©Unsplash / Nejc Soklic

Governance von Plattformen

Mit Blick auf Plattformen hat die EU kürzlich ein Gesetz über digitale Dienste verabschiedet, das neue Sorgfaltspflichten für die Moderation von Inhalten einführt. So müssen Plattformen u.a. Informationen darüber bereitstellen, wie sie Inhalte moderieren, ein Meldesystem für die Beanstandung von Inhalten anbieten, ihre Entscheidungen gegenüber Personen, deren Inhalte entfernt oder deren Zugang gesperrt wurde, begründen, und eine Beschwerdemöglichkeit einrichten. Der Bundesrat hat entschieden, ebenfalls ein Gesetz für die Regulierung grosser Kommunikationsplattformen auszuarbeiten. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Nutzer/innen in der Schweiz besser zu schützen.

Ob dieser Vorschlag sich auch mit algorithmischen Empfehlungssystemen befassen wird, ist noch offen. Und anders als die EU, die mit dem Gesetz über digitale Märkte auch die Marktmacht von Plattformen («Gatekeeper») und damit eines der grössten Probleme von Medienunternehmen – nämlich die Abhängigkeit von Google und Co. als Werbeplattformen – angeht, bleibt die Schweiz hier untätig.

Medienpolitik als Voraussetzung für Demokratie

Aufgabe der Medienpolitik ist es, eine vielfältige Medienlandschaft und eine funktionierende Öffentlichkeit sicherzustellen, in der Debatten über Probleme und politische Lösungsoptionen möglich sind. Nur dann kann eine demokratische Gesellschaft funktionieren. Insofern ist Medienpolitik auch eine Voraussetzung für die Demokratie.

Die Kantone haben zahlreiche Möglichkeiten, sich in der Medienpolitik zu engagieren. Neben Aktivitäten im eigenen Kanton können sie sich auf Bundesebene für eine Medienförderung, einen Service public und eine Plattformregulierung einsetzen, die der Schweizer Demokratie gerecht werden. Ob aber auch ein Wille zur medienpolitischen Gestaltung vorhanden ist, bleibt abzuwarten.


Zum Autor

Manuel Puppis ist ordentlicher Professor für Medienstrukturen und Governance am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM der Universität Freiburg (Schweiz) und Vizepräsident der Eidgenössischen Medienkommission EMEK. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der medienpolitischen Gestaltung von Medien, Plattformen und Öffentlichkeit und dem internationalen Vergleich von Mediensystemen. Er ist Autor des Standardwerks «Medienpolitik. Grundlagen für Wissenschaft und Praxis» (UVK, 2023).

Bild: Christiane Matzen, Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut

Top